Ein Schneider hatte einst drei Söhne
und eine Ziege mit im Haus,
das war so eine weiße Schöne,
und sie sah lieb und harmlos aus.
Vier Männer musste sie ernähren
mit ihrem guten, weißen Saft,
so ließ man sie auch gern gewähren,
war sie mal wieder launenhaft.
Ein Sohn war jeweils an der Reihe,
zu sorgen für ihr täglich Gras,
und führte sie deshalb ins Freie,
wo sie dann lang und gründlich fraß.
Und eines Tages ging der Größte
mit dieser Ziege weit hinaus,
wo sie dann schmauste und er döste,
und abends wollte er nach Haus.
So sprach er: „Liebe, gute Ziege,
ist jetzt dein Magen endlich voll?
Wenn ich nicht bald zu essen kriege,
dann werde ich vor Hunger toll.“
Da sprach das Tier: „Wir können gehen,
ich bin so wohlig satt und rund,
ich kann schon fast nicht grade stehen,
noch mehr ist sicher ungesund!“
So kehrten sie nach Hause wieder,
der Vater stand schon vor dem Tor
und beugte sich zur Ziege nieder
und flüsterte ihr zart ins Ohr:
„Hast du denn gutes Gras gefunden,
du, meine Schöne, bist du satt?“
„Mäh, mäh, die Klauen sind zerschunden,
und fressen konnte ich kein Blatt!
Mäh, mäh, ich musst nur immer laufen,
mäh, mäh, wohl über Stock und Stein,
mäh, mäh, ich konnt kein Tröpflein saufen,
mäh, mäh, das war so arg gemein!“
Da fing der Vater an zu toben
und riss die Elle von der Wand
und schlug, sodass die Funken stoben,
den Jungen und schrie wutentbrannt:
„Lässt mir mein Tierchen fast verhungern,
du bist ein Nichtsnutz, bös und dumm,
geh doch woandershin zum Lungern!“
Da wandte sich der Sohn still um.
Am nächsten Morgen ging der Zweite
mit dieser Geiß zur Kräuterwies,
wo er sie von dem Strick befreite
und sie dem Schmausen überließ.
****
Inzwischen wurd der Größte Schreiner,
ja, sieben Jahre lernte er,
und fleißig war er wie sonst keiner,
und keine Pflicht war ihm zu schwer.
Als Lohn bekam zum Schluss der Knabe
ein Tischlein vom gemeinsten Holz,
‘s war eine wunderliche Gabe,
doch seines Meisters größter Stolz.
„In diesem Tischlein liegt ein Zauber,
denn sagst du nur das rechte Wort,
dann macht das Tischlein sich schön sauber
und deckt sich festlich ein sofort.
Drauf kommen Teller, Gläser, Messer
und massenweise Bier und Wein
und Speisen für ganz viele Esser,
und alles schmeckt so zart und fein.
Den Zauberspruch musst du behalten,
und der heißt: ‚Tischlein decke dich!‘
Dann wird sich alles so gestalten,
wie ich gesagt, vertrau auf mich!“
„Dies prüf ich gleich!“, rief der Geselle!
Und wisst ihr, was darauf geschah?
Randvoll wurd‘s Tischlein auf der Stelle!
Er staunte, was er alles sah!
Da gab es Schnitzel, Gänsebraten
und Schinkenspeck und Hasenklein
und Erbsen, Möhren und Tomaten
und Saft und Bier und Most und Wein.
So stand es da, das schöne Essen,
mit allem, was man gerne hat,
und er probierte selbstvergessen
und wurde endlich wohlig satt.
Und schließlich wollt er heim zum Vater,
bestimmt war alles wieder gut!
Und was er wollte, ja, das tat er
und reiste heimwärts voller Mut.
Spät abends kam er in den Regen
und bat im Wirtshaus um Quartier,
der Wirt dort brummte: „Meinetwegen,
doch Essen gibt es nicht mehr hier!“
Drauf rief der Schreiner in der Schenke
halt lautstark: „Tischlein decke dich!“
Und all die Speisen und Getränke
verschenkte er dann brüderlich.
Denn als die Gäste nähertraten,
lud sie der Jüngling freundlich ein
zum Hammeltopf und Rinderbraten,
zu Klößen, Kohl und Entenklein.
Und ohne lang zu überlegen,
bedienten alle sich sofort.
Ja, dieses Tischlein war ein Segen
an diesem unwirtlichen Ort!
War eine Schüssel leer gegessen,
dann füllte sie sich wieder neu,
so langte auch infolgedessen
ein jeder zu, ganz ohne Scheu.
Da dachte sich der Wirt am Tresen:
„So einen Koch, den hätt ich gern,
dann ist die Schufterei gewesen,
und Reichtum ist dann nicht mehr fern!"
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